Das pumpende Herz erzeugt Pulswellen, die die Arterien durchlaufen und an die Peripherie des Körpers gelangen. Je nach Gefäßdurchmesser, Elastizität und Entfernung vom Herzen verändern sich die Eigenschaften der Wellen. Der Zustand der Gefäße wiederum wird u. a. durch den Gefühlszustand des Probanten beeinflußt, Spannung und Streß verändern zusätzlich die Pulsschlagzahl.
Durch die Beschleunigung des Blutes am Ausstrom der linken Herzkammer wird dem Körper ein gleich starker Impuls in Gegenrichtung, also ein Rückstoß versetzt. Die ausgestoßene Blutmenge – etwa 100 g pro Herzschlag – hat jedoch im Verhältnis zum Körpergewicht nur eine verschwindend geringe Masse. Auf der Erde ist die resultierende winzige Bewegung des Körpers nur mit sehr empfindlichen Meßgeräten registrierbar. Der Weltraum bietet für solche Messung ideale Bedingungen, da keine federnden oder bremsenden Komponenten die Bewegung des Körpers behindern.
Die Pulsregistrierung wird vorwiegend in der Diagnostik von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt, ist jedoch auch an Gesunden interessant, da sowohl körperliche Belastungen als auch psychische Faktoren zu Veränderungen im Kreislauf führen.
Forschungsziel
Im Experiment PULSTRANS wurden die Ergebnisse physiologischer Experimente während einer Serie von Langzeitraumflügen, gemessen auf der russischen Raumstation MIR, dargestellt. Daten des längsten jemals durchgeführten Raumflugs wurden dazu mitverwendet. Während des RLF-Programms wurde auch eine Reihe von kürzeren, 4 bis 6 Monate dauernden Raumflügen durchgeführt. Diese Daten wurden mit früheren Untersuchungen, die im Rahmen des gemeinsamen russisch-österreichischen medizinischen Weltraumprogramms gewonnen wurden, ausgewertet.
Während der durchgeführten Experimente sollte die Frage geklärt werden, wie sich die autonome Regulation des Kreislaufs und des Herzschlages im Verlauf eines Langzeitaufenthaltes in Schwerelosigkeit verhält. Schwerelosigkeit stellt einen außergewöhnlichen Zustand dar, der das autonome Nervensystem und die Kreislaufregulation in besonderer Weise verändert. Die einmalige Gelegenheit, diese Veränderungen über mehr als ein Jahr verfolgen zu können, sollten in diesem Experiment genutzt werden. Zusätzlich wurde die Funktion des autonomen Nervensystems auf die Synchronisation zwischen Herzschlag und Atmung untersucht.
Für das Experiment PULSTRANS wurde gemeinsam mit dem Experiment MIKROVIB die Apparatur KYMO und KYMO-II, bestehend aus Sensorweste, Datenerfassung und -aufzeichnung und Ergometer, entwickelt.
Funktionsweise, Meßprinzip
Das Experiment PULSTRANS bestand aus einer Reihe von Funktions- und Belastungstests, die nach einem im Gerät KYMO vorgegebenen Programm durchgeführt wurden. Als erstes war ein Gravitationstest mit verschiedenen Armstellungen vorgesehen. Das Ergebnis: Das Heben des Armes, das auf der Erde zu einem Absinken der Pulswellengeschwindigkeit führt, zeigt in der Schwerelosigkeit keine entsprechenden Auswirkungen. Der Einfluß der Gravitation auf diesen Parameter ist damit nachgewiesen. PULSTRANS hat noch eine Reihe von weiteren interessanten Informationen über Veränderungen des Gefäßtonus in der Schwerelosigkeit geliefert. Während sich die Wandspannung der arteriellen Gefäße der unteren Körperhälfte beträchtlich verringert, steigt sie in der oberen Körperhälfte an. Der periphere Gefäßwiderstand ist im Flug vermindert. Die Eigenschaften des Arteriensystems beeinflussen die Gestalt und die Ausbreitung der Pulse. Sowohl die Messung der Pulswellengeschwindigkeit als auch die Analyse der Pulsformen und der Pulsumformung können zur Charakterisierung des Kreislaufzustandes herangezogen werden.
Um diese Vorgänge messen zu können, wurden spezielle Sensoren entwickelt, die den verschiedensten Ansprüchen genügen mußten. So sollten sie hochempfindlich und wenig störanfällig sein. Man erwartete, daß sie den Kosmonauten nicht behindern würden, gleichzeitig sollten sie hochflexible und doch reißfeste Kabelanschlüsse haben, möglichst kleine Abmessungen, möglichst geringes Gewicht aufweisen.
Das vollständige Experiment (PULSTRANS) wurde am Tag durchgeführt, wobei der Experimentablauf von einem Mikroprozessor gesteuert wurde. Zu diesem Zweck wurde eine spezielle Sensorjacke und ein Sensorgürtel entwickelt, in die eine Reihe von Sensoren zur physiologischen Messung der Kosmonauten eingebaut wurde. Eine reduzierte Experimentversion wurde im Verlauf des Schlafes (Experiment SCHLAF) durchgeführt. Während einiger Nächte wurden die Daten des Kosmonauten während des Experiments SCHLAF aufgezeichnet, wobei Langzeitaufzeichnungen der Herzfrequenz und des Vagustonus sowie auch der Atmung und der Ballistocardiogramme des Herzens gemacht wurden.
Das Experiment NACHT basiert auf einem kleinen Beschleunigungssensor, der am Schlafsack des Kosmonauten angebracht wird und mit dem Gerät KYMO, ab RLF-3 KYMO-2, verbunden war. Dieser Sensor zeichnet das Ballistokardiogramm auf, aus dem Herzfrequenz, Herzfrequenzvariabilität und Bewegungen des Kosmonauten während des Schlafes berechnet werden konnten.
Mitverwendete Apparaturen der österreichischen Nutzlast
DATAMIR, KYMO, KYMO-2
Ergebnisse
Flüge von einer Dauer von 4 bis 6 Monaten
Herzfrequenz
Sowohl in Ruhe 1 und Ruhe 2, als auch im ruhigen Schlaf war ein gradueller Anstieg der mittleren Herzfrequenz während des gesamten Fluges zu beobachten. Insbesondere in den ersten 2 bis 3 Monaten nach Flugbeginn verstärkte sich der Anstieg des Ruhewertes noch und nahm nach Ende des Fluges deutlich ab.
Valsalva und Müller-Experimente erhöhten die Herzfrequenz nur wenig; wobei am Ende des dritten Monats ein Anstieg der Herzfrequenz gegenüber der Ruheherzfrequenz während des Valsalvamaneuvers beobachtet werden konnte.
Vagustonus
Während des zweiten Flugmonats war der Vagustonus, der eine bedeutende Rolle als Schutzfaktor gegen plötzlichen Herztod und Herzinfarkt spielt, am höchsten und reduzierte sich nach dem Flug auf geringere Werte als die Vorflugwerte. Diese Abnahme des Vagustonus beim Wiedereintritt in die Erdschwere konnte durchgehend beobachtet werden und zeigte den Streß an, der durch die Rückkehr in die Schwere zu einer Reduktion des Vagustonus am Herzen führte. Die Rückkehr in die Schwere stellt einen starken Stressfaktor dar und resultierte in einem verringerten Vagustonus während der Ruhephasen, sowie in einem noch stärker reduzierten Vagustonus während der Belastung durch Dynamometrie.
Interessante Ergebnisse zeigte das Valsalva-Experiment: Während sich im Verlauf des Müller-Experiments der Vagustonus kaum veränderte, erhöhte sich der Vagustonus im Valsalva-Experiment trotz des gleichzeitig beobachteten Anstiegs der Herzfrequenz. Am stärksten ausgeprägt war dieser Anstieg des Vagustonus in den Nachfluguntersuchungen.
Ballisto- und Seismoamplituden
Die Amplituden des Ballistocardiogramms zeigten am Beginn des Fluges sowohl während der Ruhephasen als auch während der Dynamometrie einen Anstieg, der besonderes während der Dynamometrie ausgeprägt ist. Nach dem Flug war dieser Anstieg, der auch während des zweiten Flugmonats eine Reduktion zeigte, auf Vorflugwerte verringert.
Ein ähnlicher Effekt konnte auch im Seismocardiogramm beobachtet werden. Obgleich die Ruheamplituden des Seismocardiogramms während der Schwerelosigkeit nicht besonders erhöht waren, waren die Änderungen während der Dynamometrie deutlich zu beobachten.
Amplitude des Elektrocardiogramms
Die elektrische ECG Amplitude zeigte einen Anstieg am Beginn des Fluges und einen kontinuierlichen weiteren Anstieg bis zum Ende des Fluges. Auch während der Nachflugphase zeigten die einzelnen Experimentteile wenig Unterschiede. Der in der Vorflugphase beobachtete Anstieg war während oder nach dem Flug nicht mehr vorhanden.
Autonome Steuerung der Herzfrequenz in Übersicht
Die im Verlauf des Fluges in allen Experimentphasen beobachtete Zunahme der Herzfrequenz konnte teilweise durch den Abfall des Vagustonus, der besonders nach dem Flug und in den späteren Flugphasen gefunden wurde, erklärt werden.
Pulswellengeschwindigkeit
Die Pulswellengeschwindigkeit wurde aus der Zeitdifferenz der Ankunftszeiten der Pulswellen an der Arteria Carotis und der Finger- bzw. Fußpulsankunftszeit bestimmt. Die unter Berücksichtigung der Arterienlänge gewonnene Pulswellengeschwindigkeit wurde während der Ruhephase 1 und 2 für Finger- und Fußarterien gezeichnet. Es zeigte sich, daß die Pulswellengeschwindigkeit in den Armarterien ähnlich der Pulswellengeschwindigkeit in den Beinarterien etwa 5 bis 6 m/sec beträgt. Nach dem zweiten Flugmonat war ein deutlicher Anstieg der Ruhepulswellengeschwindigkeit sowie in den Arm- als auch in den Beinarterien während beider Ruhephasen zu beobachten.
Ultralangzeitflug 14 Monate Dauer
Herzfrequenz
Während der Ruhephasen war die Herzfrequenz beim Kosmonauten Dr. Poljakov weitgehend stabil. Nur nach dem Flug wurde ein bemerkenswerter Anstieg der Herzfrequenz beobachtet. Der Anstieg der Herzfrequenz, der nur 30% des bei anderen Kosmonauten üblichen Ausmaßes ausmachte, nahm im Verlauf des Fluges nach einem vorübergehenden Hoch noch weiter ab. Es wurde daher auch in diesem Experiment die autonome Flexibilität verringert, was besonders nach dem Flug zu bemerken war. Besonders gegen Ende des Fluges zeigten Valsalva- und Müller-Experimente sehr geringe Veränderungen der Herzfrequenz.
Vagustonus
Beim Kosmonaut Dr. Poljakov war durchgehend ein geringer Vagustonus trotz relativ niedriger Herzfrequenz zu beobachten. Nur während des Schlafs stieg der Vagustonus auf erstaunlich hohe Werte, die gegen Ende des Fluges und nach Rückkehr zur Erde auf den Tageswert absanken. Diese spezielle Form der Vagusregulation wurde sonst bei keinem Kosmonauten beobachtet. Im Verlauf des Fluges war nur eine geringes Absinken des Vagustonus in den wachen Ruhephasen zu beobachten. Auch diese Regulation ist ungewöhnlich. Der Anstieg lag wesentlich unter den bei den anderen Kosmonauten ermittelten Werten.
Ballisto- und Seismoamplituden
Nach einem anfänglichen Anstieg im zweiten Monat war eine Zunahme der Amplituden bis zum 8. Monat zu beobachten. Nach dem Flug waren die Werte im Ballistocardiogramm ähnlich hoch, wie die Vorflugwerte, wogegen im Seismocardiogramm ein bedeutender Anstieg der Amplitude von Seismo 1, und in geringerem Ausmaß von Seismo 2 zu beobachten war. An der Seismo 1 und Seismo 2 Amplitude konnte ein Anstieg infolge der Dynamometrie beobachtet werden, der in den ersten Flugmonaten ausgeprägt war, später graduell abnahm und gegen Ende des Fluges verschwand.
Amplitude des Elektrocardiogramms
Die ECG Amplitude erhöhte sich auf 250 % der Vorflugwerte während der ersten 6 Monate. Gegen Ende des Fluges wurden die Vorflugwerte wieder erreicht und nach dem Flug konnte eine sehr starke Verringerung der ECG Amplitude beobachtet werden.
Autonome Steuerung der Herzfrequenz in Übersicht
Auf die Besonderheiten der Herzfrequenzregulation bei Dr. Poljakov wurde bereits beim Vagustonus hingewiesen. Bei der sympathischen Regulation fiel auf, daß die Werte bei Dr. Poljakov ebenfalls sehr gering waren, d.h. der Kosmonaut zeigte in Ruhe ungewöhnlich niedrige Aktivität. Dies könnte die geringe Herzfrequenz trotz niedrigem Vagustonus erklären.
Schlussfolgerungen
Obwohl nur ein Kosmonaut ausgebildeter Arzt war, konnten erstaunlich viele Experimente erfolgreich durchgeführt werden. Eines der interessantesten Ergebnisse betraf das am wenigsten aufwendige Experiment NACHT. Unter Verwendung eines einfachen Einkanalbeschleunigungssensors war eine Differenzierung zwischen Non-REM und REM Phasen des Schlafs möglich. Das Muster der Bewegungen während des Schlafes konnte beobachtet werden und die Atemfrequenz im Schlaf bestimmt werden. Das kompliziertere Experiment SCHLAF diente dabei als Referenz für die Ergebnisse, die im Rahmen von NACHT gewonnen wurden.
Alle Daten zeigten, wie erstaunlich flexibel sich die autonome Regulation der Herzfrequenz auf die speziellen Bedingungen der Schwerelosigkeit einstellte. Sogar während des Langzeitfluges wurde nie ein kritischer Zustand des Kreislaufsystems beim Kosmonauten beobachtet. Es kann gesagt werden, daß die Rückkehr in die Erdschwere die kritischste Phase des Fluges darstellt. Während dieser Phase ist die Herzfrequenz deutlich erhöht, die Schlafqualität verringert und der Vagustonus reduziert. Ebenso reduziert ist der Anstieg der Kontraktilität des Herzmuskels auf dynamometrische Belastung, was in den Ballisto- und Seismoamplituden zu beobachten ist. Die Pulswellengeschwindigkeit, die Antwort des arteriellen Systems, zeigt wenig Veränderungen während des Fluges, nur während des dritten Flugmonats kann ein Anstieg beobachtet werden.
Da es eine deutliche Dynamik bei einigen physiologischen Parameter während des dritten Monats gab, kann angenommen werden, daß dieser Zeitpunkt die zweite kritische Phase darstellt, während der eine Adaptation an die Schwerelosigkeit passiert, wobei diese Phase weniger ausgeprägt war als die Nachflugphase.
Technische Daten
Die Apparatur PULSTRANS bestand aus folgenden Einheiten
Aluminiumcontainer mit Schaumstoffauskleidung
- Gerät KYMO (entwickelt und verwendet im Rahmen des Projektes AUSTROMIR-91 und in den Phasen RLF-1 und RLF-2
- Kabel KYM1 (Spannungsversorgung)
- Kabel KYM2 (Verbindung KYMO – DATAMIR)
- Sensorweste mit
Vibrostimulator
Akzelerometer (2 Stück)
Pulssensoren (3 Stück)
EKG – Kabel
Vorverstärkereinheit - Handergometer
- Zubehörsets für Experiment MIKROVIB (2 Stück)
Kleberinge (3 Stück), Klebeplättchen (6 Stück)
Reinigungstücher (2 Stück), EKG – Elektroden (3 Stück) - Zubehörsets für Experiment PULSTRANS (2 Stück)
Kleberinge (3 Stück), Klebeplättchen (6 Stück)
Reinigungstücher (2 Stück), EKG – Elektroden (3 Stück) - Zubehörsets für Experiment SCHLAF (2 Stück)
Kleberinge (3 Stück), Klebeplättchen (6 Stück)
Reinigungstücher (2 Stück), EKG – Elektroden (3 Stück) - Befestigungsvorrichtungen für Pulssensoren (3 Stück)
- Klebestreifen zur Befestigung von Vibrostimulator
und Akzelerometer auf der Haut der Versuchsperson - Schablone zur standardisierten Befestigung von
Vibrostimulator und Akzelerometer auf der Haut der Versuchsperson - Reservesicherungen
Masse: | max. 6,2 kg |
Abmessungen: | 350 mm x 350 mm x 140 mm |
Leistungsaufnahme: | max. 35 W |
- Gerät KYMO-2 (verwendet in der Phase RLF-3)
- (1) Mikroprozessoreinheit (Experimentführung, Datenaufzeichnung)
- (2) Meßgürtel für Körpersignale (Akzelerometer, EKG, Atmung)
- (3) Puls- und Ballistocardiografie-Sensorweste
- (4) Kraftmessung: Handdynamometer
- (5) Kraftmessung: Fußdynamometer mit EMG-System
- (6) Halsspange für Karotispuls Drucksensor
- (7) Kraftmessung: Expander
- (8) Atemdruckaufnehmer und Mundstücke
- (9) Kabel (Netzversorgung, Bordrechner)
- (X) Transportbehälter
- Meßgürtel für Körpersignale
- (1) Stoffmantel aus Baumwolle (dehnbar um ca. 25 cm, Klettverschluß)
- (2) drei-achsige-Akzelerometer
- (3) Fingerpulssensor
- (4) Elektroden für EKG und Impedanzplethysmografie
- (5) Analogmodul zur Aufbereitung aller Signale
- (6) Verbindungskabel mit Stecker zum Rechner
- (7) Zugentlastung
- (8) Fixation für Bewegungsmessung im Schlaf
Experimentatoren
Univ.-Prof. Dr. Thomas Kenner (Institutsvorstand)
Univ.-Prof. Dr. Maximilian Moser (Projektverantwortlicher)
Dr. Hans Zeiringer
Dipl.-Ing. Matthias Frühwirth
Dr. Magdalena Voica
Ing. Dietmar Messerschmidt
Dipl.-Ing. Thomas Niederl
Dipl.-Ing. Bernhard Schaffer
Dr. Franziska Muhry
Mag. Manfred Lux
Univ.-Prof. DDr. Michael Lehofer
alle: Physiologisches Institut der Universität Graz
Univ.-Prof. Dr. Roman Markovic Baevskij
Dr. Irina Isajevna Funtova
A. G. Chemikova
V. N. Zhevnov
alle: IMBP (Institut für Biomedizinische Probleme), Moskau